Die lieben Nachbarn…

Berliner Hinterhöfe. Ein Imperium für sich. Jedes noch so kleine Geräusch hallt zwischen den Wänden wieder und lässt keine Geheimnisse zu. Man weiß, was die Nachbarn so treiben…

Ich für meinen Teil habe in meinem kleinen Heim kulturelle Beschallung jeglicher Art. Da gibt es einen Opernliebhaber, der hin und wieder die ganze Nachbarschaft an seiner Leidenschaft teilhaben lässt. Vor allem mitten in der Nacht oder in den frühen Morgenstunden wird man Zeuge voluminöser Arien und hofft jedes Mal inständig, dass die Gläser im Küchenschrank den hohen akustischen Schallwellen standhalten. Dann gibt es den Trompetenspieler, der zugegebenermaßen sehr selten übt. Das dürfte jedoch auch daran liegen, dass wenn er es tut, denn Groll eines Nachbarn auf sich zieht. Man kann die Minuten fast zählen, bis nach seinem Beginn ein Fenster zum Hof geöffnet wird und eine wütende Stimme brüllt: „Ruhe da draußen!“  Ich für meinen Teil habe meine Trompete deshalb auf den Zwischenboden verbannt. Und dann gibt es da noch den Nachwuchs: Flöte übende Kinder. Verlieren sie nach nur fünf Minuten selbst die Lust an ihrer quietschenden Performance ist alles gut, finden sie jedoch gefallen an dem schauerlichen Klang, wird es zur Geduldsprobe für alle Nachbarn, fördert jedoch im Gegenzug starke Nerven. Vielleicht kann man die ja noch gebrauchen… ;)

Neben diesen kulturellen Beschallungen gibt es natürlich auch diverse gefiederte Freunde, welche die freundliche Nachbarschaft auf eine harte Probe stellen. Liebestolle Tauben am frühen morgen? Drei Stunden nonstop gurren? Auch das kann durchaus einen Nervenzusammenbruch provozieren. Umso schadenfroher ist man, wenn dann plötzlich Frau Elster auf einen Besuch vorbei kommt. Für Mr. & Mrs. Gurr nämlich kein gern gesehener Gast. Da haben die Beiden lieber ganz schnell die Biege gekratzt. Doch leider nicht lange. Nach drei Tagen Kreisen über dem Innenhof schien auch Frau Elster keine Gefahr mehr, man arrangierte sich mit dem ungebetenen Gast und gurrt wie eh und jeh.

Streitende Paare, genervt diskutierende oder gar schreiende Eltern und vor Schadenfreude krakeelende Kleinkinder sind eine weitere Spezies Berliner Hinterhöfe. Am allerschönsten ist es jedoch, wenn der Spross sprechen lernt. Was für eine Freude für den Nachbarn die Fortschritte mitzuverfolgen. Da kann es am frühen Morgen neben dem Taubengegurre auch zu stundenlangen Vokabelübungen zwischen Mutter und Tochter kommen: „ Mama, Mama, Mama, Mama!“ „Lisa, Lisa, Lisa, Lisa*!“ (*Der Name wurde aus Personenschutzgründen geändert) „Mama, Mama, Mama, Mama!“ „Lisa, Lisa,…*“ Ja doch, ich weiß inzwischen wie ihr heißt und zueinenander steht. Aber was tun gegen die uneingeforderte Beteiligung an der Sprachstunde? Mein erster Instinkt war es an die Wand zu klopfen. Schnell überlegte ich mir diesen Handgriff jedoch anders. Nicht auszudenken, wenn Lisa* realisiert, dass es da einen Mann bzw. eine Frau in der Wand gibt, die man mit Klopfen an eben diese nerven kann. Nein, lieber keine unnötigen Kontakt provozieren. Stattdessen Ohropax rein und ruhig durchatmen. Aber lieber das, als ein vor Wut brüllender Vater und weinende Kinder. Inzwischen kann ich sogar am Klang des Weinens erkennen, um welches Kind es sich handelt. Am allerschönsten wird es jedoch, wenn der Nachwuchs den Wortschatz erweitert hat, und es sich zur Aufgabe gemacht hat, seinen Erzeugern konsequent zu widersprechen, Fragen zu stellen oder ihre Forderungen zu überhören. Ja, so durfte ich unlängst, wie immer ungewollt, erfahren, dass Lisa* lieber spielt anstatt zu frühstücken. Die anschließenden Diskussionen und Wutausbrüche lohnen den Griff zum Ohrstöpsel. Ja, auch das kann hin und wieder die häusliche Ruhe aus dem Gleichgewicht bringen.

Und dann gibt es da noch die ordnungsliebenden und umräumwütigen Obermieter. Zumindest könnte man dies anhand des andauernden Lärmpegels von oben annehmen. Es beginnt mit dem Wackeln der Bücher im Regal. Wenn dann die Gläser anfangen zu vibrieren weiß man: jetzt kommt gleich ein lauter Kracher. Und tatsächlich. Wumps! Da is’ er ja schon. Ich bin ja echt nicht neugierig was solche Dinge anbelangt, denn letztlich ist es mir egal was meine Nachbarn so treiben, aber hier frage ich mich doch immer wieder: Was tun sie da? Dauerrenovieren? Man weiß es nicht, aber wie ich im Austausch mit anderen Hinterhofgeübten in Erfahrungen bringen konnte, ist dies eine gängige Form der der unfreiwilligen Anteilnahme am Leben des Übermieters. Nun ja… Aufregung lohnt wohl nicht. Bringt auch nichts außer graue Haare und Falten und wer will die schon freiwillig ?!

Aber der absolute Hammer sind doch die nächtlichen Aktivitäten der Nachbarn. Währenddessen ich wie bereits erwähnt nur streitende Pärchen und Kindergeschrei höre und von mir deshalb unfreiwilligerweise der Tages- bzw. Nachtrhythmus einer frischgebackenen Mutter abverlangt wird, haben Andere da ganz andere Vergnügen. So erzählte mir letztens Jemand von einem benachbarten Pärchen, die wohl wie alle Anderen aufgrund der wärmer werdenden Temperaturen des Nachts auch die Fenster offen stehen lassen. Und so wurde dann Jeder, dem ebenfalls der Sinn nach frischer Frühlingsluft stand, Zeuge eines nicht-enden-wollenden Liebesspiels. Wie schön, dass es auch so was gibt!!! Der Jemand berichtete folgende, durchaus amüsante Entwicklung. Zunächst verstellt er im Gespräch mit mir seine Stimme zu einem tiefen Brummen und spricht sehr langsam: „Er so `ooohhh, ooohhh`.“ Dann wohl ein Rollenwechsel, denn seine Stimme wird schrill, hoch, kurzatmig-quitschend und abgehakt: „Sie so `ah, ah`.“ Und das ging wohl ewig so, laut seiner Schilderung. „Mein Kumpel würde sagen: nach allen Regeln der Kunst.“, so sein Fazit. Doch einer seiner Nachbarn hatte das wohl anders gesehen, denn nach einer Stunde dieses lautmalerischen Dialoges brüllte er in den Innenhof: „Nun komm doch endlich, die ist doch schon voll fertig!“ Und augenblicklich war Ruhe im Karton, kein Rappeln mehr in der Kiste.

Na dann auf eine gute Nacht(-barschaft)! :D