WIR werden Weltmeister

Es ist mal wieder soweit, dass Finale der Fußballweltmeisterschaft steht vor der Tür und fördert bei so manchem Erdenbewohner merkwürdige Verhaltens- oder sollte ich besser sagen Denkweisen zu Tage. Denn angesichts der Tatsache, dass die Deutsche Nationalmannschaft im Finale steht, hat sich das nun seit einem Monat andauernde Fußballfieber bei einem Großteil der deutschen Fans zum Fußballirrsinn entwickelt. Zumindest bekommt man hin und wieder den Eindruck, wenn man diverse Leute beim Fußball gucken beobachtet und sich anhört, was sie dazu zu sagen haben.

Was mir bei all meiner neu gewonnen Liebe zum Spiel und aller aufgebrachter Toleranz für den Fußballwahnsinn nicht in den Kopf gehen will, ist die Tatsache, dass eben dieser bei dem einen oder anderen Fan mit Realitätsverlust einherzugehen scheint. Und damit meine ich nicht, dass sich plötzlich auch der unmusikalischste Mensch zum hymnenschmetternden Chorsänger emporschwingt oder das Privatleben nur noch aus einer Mattscheibe, einem kühlen Bier und einer Tüte Chips besteht. Nein, ich meine den WIR-Wahnsinn.

„WIR werden Weltmeister!“

Halt mal. Da ist irgendeine Gehirnwindung falsch gepolt. WIR werden hier gar nix, denn WIR stehen da gar nicht auf dem Platz. Genauso verhält es sich mit: „WIR haben gut gespielt“, „WIR haben den besten Torwart.“, etc. pepe. Wieso WIR? Habe ich da was nicht mitbekommen? War ich so in meine Rechnungen vertieft, wer wie spielen muss, um eine Runde weiterzukommen, dass ich nicht gesehen habe, dass WIR alle ebenfalls über den Platz gelaufen sind, das Tor geschossen haben und den Elfmeter gehalten haben?

Anders verhält es sich mit Niederlagen. Dann heißt es auf einmal „DIE haben schlecht gespielt.“, „Was machen DIE denn da?“, „DER Löw ist Schuld“ oder „DER hat heute aber nicht gerade seinen besten Tag.“, … Aha. Nun sind es also nicht mehr WIR, sondern DIE oder DER. Schlimm genug, dass WIR, die wir nur auf der Couch, der Bierbank oder was auch immer hocken und genüsslich ein kaltes Getränk schlürfen, die Dreistigkeit besitzen zu urteilen. Natürlich kann man objektiv und anhand bestimmter Reglements so etwas feststellen wie einen zähen Spielfluss oder whatever. Aber was heißt denn hier „schlecht gespielt“, etc.? Es handelt sich hier um die Weltspitze. Gibt es da ein „schlecht“ überhaupt?

Aber keine Sorge, liebe „WIR- & DIE-Verwender“, das macht euch nicht zu „schlechteren“ Menschen. Im Gegenteil, dieses Phänomen ist „ganz normal“ und hat psychologische Ursachen. Es handelt sich hier um einen so genannten social bias. Eine kognitive Verzerrung. Solche kognitiven Verzerrungen liegen vielen unserer Entscheidungen und Ansichten zugrunde. Sie ermöglichen unserem Gehirn eine gewisse Effizienz. Schließlich ist der Mensch bestrebt sich und seine Umwelt in eine Ordnung zu bringen. Dafür gruppiert er sich. Eine Orientierungshilfe sozusagen. Deshalb sind WIR ja auch Deutschland… Auf der anderen Seite können diese kognitiven Verzerrungen aber eben auch zur Selbsttäuschung führen. WIR sind eben nicht Deutschland, auch wenn jeder einzelene wohl auch Erhebungen und Vertiefungen besitzt, an manchen Stellen karg bewachsen, an den anderen wild bewuchert ist, etc.

So ist es wohl einfach nur menschlich, dass sich der Erdenbewohner lieber mit Siegern als Verlierern identifiziert. Klar, denn der Mensch ist ja immer bestrebt seine Selbstwahrnehmung positiv aufzuwerten. Da kann es also schon mal vorkommen, dass WIR Weltmeister werden; dass WIR Papst sind; … Genauso menschlich und psychologisch erklärbar ist es, die Schuld für eigenes Scheitern gern bei Jemand anderen suchen oder äußere Umständen dafür verantwortlich zu machen. Scheitert jedoch jemand anderes, ist er selbst dafür verantwortlich. In Fachkreisen auch defensive attribution genannt. Nicht verwunderlich also, dass DIE schlecht spielen.

Na dann hoffen WIR mal, dass die Deutsche Fußballnationalmannschaft morgen gewinnt, damit nicht zu allem Überfluss auch noch der negativity effect (negative Informationen/Ereignisse wirken immer stärker als Positive) eintritt und ein komplettes Land desillusioniert. Denn dann wären WIR wohl nicht Weltmeister, sondern DIE wären kurz vor dem Ziel gescheitert.

Olé Olé

Ein Fußballabend unter Freunden. Wat’n Spaß, oder sollte ich besser sagen wat ’ne Vorlage für eine Charakterstudie? Auf jeden Fall sollte ich vorab erwähnen, dass ich diesem Abend gezwungenermaßen beiwohnte. Aus Nettigkeit, weil ein Freund Geburtstag hatte und gern mit seinen Gästen ein Spiel auf der Mattscheibe verfolgen wollte. Ich kann mir sonst Besseres vorstellen. Nicht, weil ich nicht gern Zeit mit meinen Freunden verbringe, sondern weil ich der Tätigkeit „Sport zu gucken“ nichts abgewinnen kann. Da mache ich doch lieber selbst Sport!!! Davon habe ich mehr. Zumindest  mehr positive Effekte ;) Denn ganz klar, auch vom „Fußballgucken“ mit Freunden habe ich etwas: Und zwar Ohrenschmerzen und nervöse Zuckungen. Warum? Na weil, wenn die Herren auf dem Bildschirm dann in der Nachspielzeit !!! mal endlich in Fahrt kommen, kommen auch die Herren und Damen auf dem heimischen Sofa in Fahrt und meinen ihr „Fachwissen“ laut in meine Gehörgänge brüllen zu müssen. Als ob ich dadurch dem „Fußballgucken“ näher kommen würde. Das Gegenteil ist eher der Fall: Es verschreckt mich nur noch mehr.

Allerdings finde ich es wahnsinnig faszinierend, wie der träge Haufen auf dem Sofa plötzlich zu fachkundigen Spezialisten wird. Da meinen die Herren der Schöpfung doch wirklich, den Herren auf der Mattscheibe Tipps und Anweisungen geben zu müssen. „Boa Junge, spiel doch mal ab!“, „Der steht doch frei man, wieso spielst du nicht ab?“, „Was soll das denn werden?“, „Der trifft nich!“ Und diese Liste ließe sich unendlich fortfahren.

Was zu meiner Verwunderung kommt hinzu: Die Herren neben mir auf der Couch scheinen doch tatsächlich anzunehmen, dass die Herren auf der Mattscheibe sie erhören können. Oder warum sonst werfen sie solche Kommentare überhaupt ein? Oder ist es nur der Versuch den wallenden Gefühlen Ausdruck zu verleihen? Da sind doch meine Augen und Ohren immer größer geworden. Hallo? Als ob die es besser könnten…. Das will ich ja erstmal mit eigenen Augen sehen, wie die sich so auf dem Platz anstellen. Und da wären wir wieder beim Thema: Zusehen NO, selbst spielen GO :) Wenn sie mal bei anderen Dingen so voller Elan und Lebensgeist wären… :)  Aber wenn ich mir so anhöre, was der Fernsehkommentator während des Spiels so von sich gibt, der steht meinen Lieben in nichts nach… Und unterbewusst scheint ihnen die Tatsache, dass sie nicht erhöhrt werden vielleicht doch präsent zu sein. Zumindest würde das die erhöhte Lautstärke erklären, mit der sie ihre Kommentare in den Raum bzw. in mein Ohr schmettern.

Aber noch herrlicher sind ja die Frauen, die eigentlich keine Ahnung von Fußball haben. Und damit meine ich jetzt nicht die Frau allgemein, sondern eben wirklich nur Diejenigen, die keine Ahnung von Fußball haben oder nur gefährliches Halbwissen. Also ich für meinen Teil habe auch keine Ahnung. Wenn ich früher Fuball gespielt habe dann eben einfach drauf auf den Ball. Regeln gab es da keine. Nur ein Ziel: Das Runde muss ins Eckige. Aber genau das ist der Grund weshalb ich mich nicht einmische. Ich halte gepflegt meine Klappe. Aber es gibt da so Damen die keine Ahnung haben (zum Glück keine aus meinem näheren Umfeld), die aber angesichts einer Fußballübertragung mitfiebern, mitkommentieren und im äußersten Fall sogar mitschreien, ohne zu wissen warum. Diese „Fälle“ verleiten meinen Kopf zum automatischen, ungläubigen schütteln. Da frage ich mich doch: HÄ? Warum dat Janze? Wollen sie die Herren der Schöpfung beeindrucken? In diesem Fall würde ich mal sagen: Falscher Ort, falsche Zeit. Denn die Herren nehmen eh nichts wahr, was sich außerhalb der Mattscheibe abspielt. Außer vielleicht die leere Bierflasche ;) Oder ist es eher eine Art Gruppenzwang? Oder vielleicht doch ein Virus, der in diesen Momenten blitzschnell überspringt, Männer im Folgenden nicht mehr loslässt, aber bei Frauen eben immer nur bei akutem Kontakt mit Infizierten auftritt?

Nun ja… wenn ich mir die Meute da auf der Couch so ansehe ist es vielleicht auch schlicht und ergreifend das gesellige Miteinander und die Möglichkeit mal ungehemmt brüllen zu dürfen, was die Geschlechter vereint und so am Fußball auf der Leinwand fasziniert… Süß sind sie ja schon irgendwie, wie sie da hocken. Die Gesichter so voller Leben. Die Hände abwechselnd in die Haare und die Couch gekrallt. Die Emotionen so ungehemmt nach außen tragend, wie wohl sonst in keiner Lebenslage. Tja, aber letztlich weiß ich es nicht, was sie dort so friedlich vereint. Und ich weiß auch nicht ob ich es jemals erfahren werde, denn dafür müsste ich mich wohl noch öfter in diese Situation begeben. Und bei aller Faszination der Charakterstudie und aller Liebe zu meinen Freunden:  Ich mööööchte das niiiiiiicht ;)