Temporärspleens & Permanentticks

Not macht nicht nur erfinderisch, sondern kann auch die eigenartigsten Marotten und Spleens zu Tage befördern.

Es gibt also Dinge die wir nur unter bestimmten Bedingungen oder Umständen tun. Dinge, über die andere lachen, den Kopf schütteln oder sich wundern. Merkwürdige Dinge, die nur uns gehören.

Erst letztens beobachtete ich einen älteren Herrn auf der Straße. Nicht mehr ganz schwungvoll in der Hüfte, aber dennoch versuchte er mit dieser irgendwelche Bewegungen zu machen. Ich beobachtete ihn eine Weile um herauszufinden, was er da wohl tat. Und dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Er versuchte sich nur auf Linien zu bewegen. Ein seltsames Bild. Man kennt das vielleicht selbst noch aus seiner Kindheit. Aber ja, es gibt auch Menschen der älteren Semester, die dieses Spielchen in scheinbar unbeobachteten Momenten betreiben. Diese wirken dann mitunter etwas crazy. Ich wette er macht das häufiger…

Und es gibt Merkwürdigkeiten, die aus einer gewissen ‚Not‘ heraus entstehen. Kordellutscher beispielsweise. Ihr wisst nicht was das ist? Ich werde euch auf die Sprünge helfen. Ihr kennt sicher die Kapuzenpullover, die eine Kordel haben mit der man diese zuziehen kann. Ich traf also einen Freund, dessen Kordel eigenartig nass war. So, dass sie bereits feuchte Flecken auf seinem Pullover hinterließ. Als ich ihn fragte, ob er diese zufällig beim Essen in seinen Teller getaucht habe, erklärte er mir: „Ich bin so mit dem Rad durch Kreuzberg gefahren und irgendwie hatte ich nichts mehr zu trinken, also hab ich eben an der Kordel von meinem Pullover gelutscht.“ Alles klar? Ein Kordellutscher eben. Und ein Tick, den er unter normalen Umständen – er hat etwas Trinkbares bei sich – wohl nicht ausgelebt hätte. Eine harmlose Form des Wahnsinns also…

Und dann gibt es Eigenarten, die man sich im Laufe seines Lebens heranzüchtet. Die kleinen und großen Schrullen, die kaum einer kennt. Die einfach dazu beitragen die eigene Struktur zu wahren. Sich Abläufe zu vereinfachen oder zu verschönern. Diese werden erst komisch, wenn andere Personen ins Leben treten und sie bemerken.

Ich zum Beispiel sammele Gedanken. Ein Freund pflegt immer zu mir zu sagen, wenn ich den Gedankenkäfig mal öffne und sie auf die Menschheit loslasse: „Du hast doch n Vogel!“ Ja, den habe ich wohl bzw. eben einen Spleen. Früher habe ich diese Gedanken auf kleinen Post-Its gesammelt, die dann wolkenartig irgendwo klebten. Bis meine Wolken zu überdimensional wurden und ich mich dank der neuen Technik entschied, die schöne Form der Wolken und Wandverzierung aufzugeben, um stattdessen auf die langweilige, strukturierte Form eines Word-Dokuments umzuswitchen.

Und dann gibt es jene Spleens bei denen man sich der Harmlosigkeit seiner eigenen Ticks bewusst wird. Denn ich dachte immer ich bin ein verrückt, bis ich vor Kurzem jemanden an der Supermaktkasse alle Tüten auf rechts falten sah.

Sind wir nicht alle ein bisschen…

                                             … Schrulle?

Falsch verbunden – Von den Schwierigkeiten zwischenmenschlicher Kommunikation

Ich arbeite mit Worten. Man möchte also meinen, dass ich auch mit ihnen umzugehen weiß. Dass ich kommunizieren kann. Kann ich wohl auch. Aber nicht immer. So muss ich in regelmäßigen Abständen feststellen, dass meine Kommunikation hin und wieder missverständlich ist. Irritierend. Ja, ich verwirre Menschen. Und das eben nicht mit meiner bloßen, so atemberaubenden Anwesenheit (das wär’ doch mal was…). Nein, ich tue es mit Worten. Da schlummern ungeahnte ‚Talente‘ in mir… Ich sage etwas mit einer Intention und bewirke damit etwas komplett anderes. Verflixt. Aber, und jetzt kommt das i-Tüpfelchen, natürlich nicht immer. Nein, nur da wo’s wehtut. Da, wo es um Gefühle und Bedürfnisse geht.

Das Tröstliche (oder vielleicht auch Erschreckende) daran ist: Ich bin kein Einzelfall. Es herrscht geradezu eine Invasion an Menschen, die sich, wenn es um ihre eigenen Bedürfnisse geht, unklar ausdrücken. Generation „Ich weiß nicht…“. Generation „Vielleicht“. Da bleibt die Frage: Warum ist das so? Warum fällt es einem Großteil der Menschen (Denn natürlich gibt es auch diejenigen, die IMMER sagen was sie denken. Sie sind nicht missverständlich, mitunter aber auch nicht immer die angenehmsten Zeitgenossen. Wirken sie doch all zu oft ich-bezogen und wie eine fleischgewordene Machete.) so schwer, ihre Bedürfnisse, Wünsche und Vorstellungen klar zu äußern? Warum sagen sie nicht „Ich mag dich.“ sondern eiern herum? Warum sagen sie nicht „Das geht mir gerade gegen den Strich.“ sondern machen gute Miene zu bösem Spiel? Warum sagen sie nicht „Ja, ich würde mich freuen, wenn du anrufst.“ sondern gehen mit Worten wie „Ich bin gespannt.“? Es bleibt mir schleierhaft.

Haben wir verlernt zu sagen was wir wollen? Oder fällt es uns einfach nur schwer unsere Gefühle und Wünsche offen zu äußern? Warum überlassen wir unsere Zukunft all zu oft dem Zufall, anstatt eine Richtung vorzugeben? Eine Richtung nach der wir verlangen. Eine Richtung die unser Begehren stillen kann. Warum nehmen wir damit in Kauf, dass die Dinge nach denen wir am meisten greifen und die möglicherweise in Erfüllung gehen könnten, erst gar keine Chance bekommen? Lassen uns die Gelegenheiten entgehen, die unser Leben in andere Bahnen lenken könnten. Entsagen uns der Momente, die unser Leben lebenswert machen. Haben wir Angst vor Ablehnung? Ist es die Angst Bedürfnisse zu haben, die andere lächerlich finden? Ist es ein Spiel? Ist es ein Austesten? Ist es Unsicherheit? Ist es der Tatsache geschuldet, dass wir oft selbst nicht wissen was wir wollen? Oder weil es uns erst mit einer Verzögerung wie Schuppen von den Augen fällt? Ist es, weil wir uns alle Optionen offen halten wollen? Weil wir nichts von unserer Autonomie und Freiheit aufgeben wollen? Weil wir stark und unabhängig wirken wollen? Aber was wollen wirklich?

Wir fühlen ja, denken nein und sagen jein. Unbeabsichtigt. Weil wir versuchen einen Mittelweg zu finden. Weil wir vermeiden wollen in einem falschen Licht gesehen zu werden. Weil wir selbst nicht genau wissen was wir wollen, denken oder fühlen. Und dann passiert etwas. Denn das was wir wirklich fühlen und wollen wird überlagert von dem, was wir glauben fühlen und wollen zu müssen. Und wenn dann nach einer Entscheidung verlangt wird, öffnen wir den Mund und senden Worte. Worte die unseren körperlichen Signalen widersprechen.  Und dann ist es da, das Durcheinander. Der Widerspruch. Die Verwirrung. Falsch verbunden.

Aber warum? Die Welt könnte so einfach, wenn wir sie uns nicht immer wieder selbst schwer machen würden…

Call Me (Maybe)

Neon signFoto: © Andreas Bauer, 2011

Ein neugieriger Blick. Ein verstohlenes Grinsen. Eine zaghafte Geste. Ein Geben und Nehmen. Das Gefühl von Jetzt und Hier, von richtig. Und plötzlich ist klar, da ist was. Ein durchsichtiges Band. Gesponnen. Gespannt. Darauf wartend, dass einer den Schritt wagt. Es zum schwingen zu bringen. Im Gleichklang. Für diesen Augenblick. Zur richtigen Zeit. Am richtigen Ort. Eine Sehnsucht. Auf der Suche nach dem wie, wo und wann. Testend. Fragend. Ob der Augenblick den Moment überdauern kann…

Naturbekifft und ewig jung

Es gibt Aussagen, die mir immer mal wieder entgegengebracht werden, und die mich einigermaßen sprachlos machen. Der Grund: Sie bieten einfach wahnsinnig viel Spielraum für eigene Interpretationsmöglichkeiten.

Eine solcher Aussagen ist: „Sag mal, hast du grad einen durchgezogen? Deine Augen sehen so glasig aus.“. Ohne Scheiß, dieser Satz ist mir in der letzten Zeit vermehrt hingeworfen worden. Hin und wieder habe ich sogar eine Erklärung für diesen Zustand meiner Augen: Schwimmen ohne Schwimmbrille und danach aufs Rad. Der Fahrtwind, denn ich bin jetzt nicht unbedingt der langsame Spazierfahrer, erledigt dann den Rest. Ab und an ist dieser Zustand aber auch einfach folgender Tatsache geschuldet: Gerade aufgestanden und der Status ‚wach’ wurde vom Hirn noch nicht an die Augen weitergeleitet. Aber ab und an habe ich auch einfach keine Erklärung. Dann ist das eben so, naturbekifft. Ich könnte natürlich auch behaupten, dass ich zum Schauspieler umsatteln will, gerade für die Rolle eine Junkies trainiere und eben wahnsinnig talentiert bin, weil ich es sogar schaffe meine Augen der Rolle angemessen wirken zu lassen. Hihi.

Somit kann ich also zunächst alle Fragenden und alle nicht Fragenden, aber dasselbe Denkenden, beruhigen (oder ich muss sie enttäuschen – je nachdem): Nein ich habe keinen Joint verzehrt. Selbst wenn ich wollte, schon mein natürliches Erscheinungsbild schreckt Dealer ab. Vielleicht ja gerade deshalb. Wenn ich immer so aussehe, als hätte ich einen durchgezischt, scheint der Bedarf ja nicht so akut. Vielmehr steht nun aber die Frage im Raum: Sollte ich mir Sorgen machen? Welche Auswirkungen könnte mein naturbekifftes Aussehen auf meine Umwelt haben? Könnte es mir z.B. bei einem Vorstellungsgespräch zum Verhängnis werden? Oder ist es besser man hält mich für bekifft, als wenn alle annehmen würden, dass ich die letzte Nacht durchgeflennt habe? Was aber wenn sie mich dann für geistig nicht ganz auf der Höhe halten? Oder könnte das sogar zum Vorteil werden, weil ich dann alle positiv überraschen kann? Wie auch immer, die Frage bleibt zudem: Was wollen mir die Leute mit dieser Aussage mitteilen? Steckt in ihrer Frage eine Sehnsucht / eine Hoffnung, dass ich Ihnen etwas abgeben könnte? Sind sie gar eifersüchtig, weil sie gern selbst bekifft wären, es aber nicht sind? Oder wollen sie mir nur schonend beibringen, dass ich gerade nicht gesellschaftsfähig aussehe? Aber dann sollen sie doch lieber mit Lösungsvorschlägen kommen… Ich habe es mir bisher jedenfalls lieber verkniffen nachzufragen. Macht mich ja auch nicht schlauer, wenn ich weiß was die werten Fragenden über meinen Zustand (den ich ja obendrein nicht einmal besitze) denken.

„Du hast dich überhaupt nicht verändert!“ oder „Wie, du bist dreißig? Ich hätte dich viel jünger geschätzt.“, sind zwei weitere der Sprachlosigkeit auswirkenden Äußerungen. Das interessante an diesen Statements sind die verschiedenen Klangfarben und Intensitäten, in denen sie an mich herangetragen werden. Da gibt es diejenigen, die es mit einer gewissen Bewunderung aussprechen. Hier soll der Satz wohl ein Kompliment sein. Aber selbst wenn, das ist ebenso unglaubwürdig wie auch frustrierend. Weshalb? Dazu komme ich gleich noch… Dann gibt es diejenigen, die es mit einem fast schon enttäuschten Unterton hervorpressen. So als hätten sie sich gewünscht, dass mir in der Zwischenzeit Flossen, Flügel oder was weiß ich was gewachsen sind. Dass mein Gehirn um etliche Prozente geschrumpft oder anschwollen ist, etc. Oder sind sie selbst einfach nur neidisch? Weil der altersbedingte Verrottungsprozess an ihnen merklicher vorübergeht, als an mir? Und dann gibt es diejenigen, die diesen Satz fast nebenbei fallen lassen. Die, die einem mal sehr viel bedeutet haben. Denen man imponieren und gefallen wollte. Hier setzt augenblicklich eine Art Trotz ein und diverse Einwandmöglichkeiten a la „Aber ich bin doch jetzt viel cooler, unabhängiger, etc.“ schießen wie PingPong-Bälle durch den Kopf. Gut dass ich aber doch – wenn eben auch scheinbar auf den ersten Blick nicht sichtbar – gealtert und gereift bin und solche Kommentare genauso schnell auch wieder in meinem Kopf verwelken, wie sie aufgekeimt sind.

Egal ob Kompliment, Neid oder was auch immer, eine Reaktion meinerseits, auf diese Aussagen zu meinem altersbedingten Veränderungsprozess bzw. nicht-Veränderungsprozess, bleibt konstant bestehen: Fragezeichen in den Augen und ein sofort rotierendes Gedankenkarussell. Wie jetzt? Innerlich, äußerlich, komplett? Gut? Schlecht? Kurz gesagt: HÄÄÄÄ?

Und jedes Mal erwäge ich, ob ich Statements dieser Art auch mal lautstark hinterfragen oder kommentieren sollte. Mache es aber nicht. Vielleicht sollte ich mir stattdessen eines dieser Sprüche-T-Sirts zulegen. Mit der Message: „Ich weiß, ich habe mich überhaupt nicht verändert.“  (Oder im Falle des ersten Beipsiels: Nein, ich bin nicht bekifft, dass ist wie Gott mich schuf.) Und dahinter dann bitte ein sich vor Lachen kugelnder Smilie. Denn… Ich habe mich natürlich verändert. Zu aller erst mal: Ich kann inzwischen selbständig denken, sprechen und lesen. Also im Vergleich zu Minus dreißig Jahren. Zweitens habe ich Stil entwickelt. Ich trage keine ausgelabberten Latzhosen und Holzfällerhemden mehr, wie noch vor 15 Jahren. Drittens habe ich gelernt, dass es so etwas wie eine Frisur gibt. Viertens bin ich um einiges größer und schwerer als noch vor dreißig Jahren, aber auch um einiges schmaler also noch vor 10 Jahren war. Und fünftens sieht man mir die Jahre bei genauerem Hinsehen durchaus an: Da bahnen sich graue Haare und Miniaturfältchen ihren Weg auf den Kopf und ins Gesicht. Da droht der körperliche Verfall, etc. Nicht, dass ich auf letzteres besonders stolz wäre. Aber mit dreißig noch für zehn bis dreizehn Jahre jünger geschätzt zu werden ist nicht unbedingt ein Gütesiegel. Mag sein, dass ich in weiteren zehn Jahren, wenn man mich dann für dreißig anstatt vierzig hält, wie ein Honigkuchenpferd darüber freue. Und auch wenn man ein paar Takte mehr mit mir wechselt, sollte man erkennen, dass ich keine 18 mehr bin und durchaus eine angemessene Entwicklung hinter mir habe. Ich bestehe darauf!

So und nun? Ich werde derlei Aussagen einfach mit einem Lächeln quittieren. Denn wie sagt man so schön „Lachen ist die beste Medizin“. Und das gilt wohl auch für fragwürdige Zustände =)

MorgenGrauen

chr09_tasseFoto: © Christina Hanck, 2009

Der diesige Morgen drückt sich gegen die Fensterscheiben. Sie zieht die Decke fester um ihren Körper. Blinzelt. Liegt reglos. Lauscht in die Stille des anbrechenden Tages. Kein Duft von frischem Kaffee. Kein klappern von Tassen. Kein rauschendes Duschwasser. Die Leere treibt sie aus dem Bett.

Sie tritt ans Fenster. Ihr Atem malt Bilder. Sie wischt mit ihrer Hand darüber. Die Reflexion der Scheibe spiegelt ihr Gesicht. Heißt sie willkommen. Im neuen Tag. In der Realität. In der Einsamkeit.