Synapsenpolka

Kennt ihr diese Zustände, in denen man sich zwischen Wahnsinn und Irrsinn bewegt? In denen man durchdreht und denkt: Alle Welt ist normal, nur ich bin verrückt. Momente, in denen man das Gefühl hat, das Herz spränge einem gleich aus der Brust. Augenblicke, in denen man meint, ab sofort zum Hyperventilierer zu werden. Situationen, in denen man am liebsten aus der eigenen Haut fahren will, nur um dieses unerträgliche pulsieren des Blutes nicht ertragen zu müssen. Ich habe diesen Zustand mal Synapsenpolka getauft. Oder für die weniger metaphorisch angehauchten: Man bezeichnet es auch als geistige Überforderung. Als grenzwertige Auslastung sämtlicher Sinne. Reizüberflutung. Soll ja vorkommen.

Ich für meinen Teil verfalle in regelmäßigen Abständen in diesen Zustand. Nicht jedoch aufgrund ausufernder medialer Überschwemmung meines Geistes. Nein, es geht auch einfacher…

Zum einen immer dann, wenn der Kopf voll ist mit Ideen. Ideen, die irgendwo untergebracht werden wollen, aber keinen Anfang finden. Gedanken, die sortiert werden müssen, aber dessen Knäulbeginn einfach unauffindbar bleibt in den unendlichen Weiten der Gehirnwindungen. Visionen, die darauf drängen endlich umgesetzt zu werden, deren Realisierung aber Zeit und Raum brauchen. Und dann passiert es. Der Verstand hakt aus. Dreht Pirouetten. Hüpft auf und ab. Hämmert an die Schädeldecke. Und kitzelt ihn hervor, den ganz normalen Wahnsinn. Und dann hat man nur noch Brei im Kopf und droht zu explodieren. Zumindest wenn man nichts gegen diesen geistigen Überschwemmungszustand unternimmt.

Aber was tun, um eine Ex- oder Implosion zu verhindern? Ich habe beobachtet. Und ich bin zu dem Schluss gekommen: Die meisten Menschen absolvieren in solchen Momenten schwachsinnige Handlungen. Mit Hingabe. Essen zum Beispiel. Soll ja die Nerven beruhigen. Angeblich. Ich für meinen Teil greife eher und ganz automatisch auf Musik zurück. Das ist der Absorbationstipp schlechthin. Natürlich muss man ganz verrückt dazu Tanzen oder Singen, sonst bringt das Ganze ja nichts. Also nichts im Sinne von raus aus dem überlasteten Schädel. Am schönsten ist sowas natürlich, wenn man nicht allein am Rad drehen muss. Wenn man gemeinsam spinnen kann. Dann hat dieser ganz normale Wahnsinn sogar etwas sehr Wundervolles, gar Reizvolles. Denn das sind sie, die Momente im Leben, die einem in Erinnerung bleiben. Die verbinden. Freundschaften schaffen und nähren. Beziehungen aufpeppen und zusammenhalten. Ich erinnere mich an eine sehr überdrehten Abend vor nicht all zu langer Zeit. Ferienlagerstimmung. Zwei Menschen. Ein Ohrwurm. Ein und dieselbe Liedzeile. Immer und immer wieder. Aber damit es nicht langweilig wird, sondern schräg bleibt, in unterschiedlichsten Variationen. Von Hard Rock, über Latin, bis hin zu Schlager oder Rammstein-Versionen. Keiner verstand uns, aber uns ging es gut :) Wir lachten, bis sich die Balken bogen.

Ein anderer möglicher Auslöser für derartig wahnsinnige Zustände sind, wie sollte es auch anders sein, Gefühle. Nix neues würde ich sagen. Denn das Kapitel Gefühle könnte man wohl auch mit ‚Der widerspenstigen Zähmung‘ betiteln. Ja, so Gefühle können einem schon die Hölle heiß machen. Verrückt werden lassen, etc. Und auch hier neigt der Mensch dazu, die aktuelle Gefühlsüberforderung auszugleichen. Manche verfallen in schwachsinniges Gekicher, oder erleiden andere derartig hysterischer Aussetzer. Ich für meinen Teil beginne zu kommunizieren. Zumeist mit Menschen die gar nicht anwesend sind. Was jetzt nicht bedeutet, dass ich mit mir selbst spreche. Nein, ich beginne via moderner Kommunikationsmittel meinem aktuellen Gefühl Luft zu verschaffen und mal ordentlich auf den Putz zu hauen. Macht man ja sonst viel zu selten. Ich nenne das die Rohrspatz-Taktik. Im ersten Moment eine sehr hilfreiche Methode, die aber letztlich nicht immer mit dem gewünschten Ergebnis einhergeht. Das bedeutet, dass man sich mitunter von einer desolaten Befindlichkeit in die nächste manövriert. Aber dann hat man ja bereits Übung im beheben des Wahnsinns. Falls man ihn denn beheben möchte…

Denn wie sagte letztens ein Freund zu mir: „Wer heute nicht verrückt ist, ist nicht mehr normal.“

Hilfe, Ratgeberdschungel!

„Was Sie schon immer über … wissen wollten!“, „Wie Sie am besten…“, „Der beste Weg zum…“, etc pepe. Ratgeber hier, Ratgeber da. Ratgeber-Dschungel. Hilfe! Reiz- und Wissensüberflutung pur. Und noch dazu oft unnützes Wissen, wenn auch die Herausgeber und Verfasser dieser Ratgeber wohl anderer Meinung sind. Schließlich ist Ihr Ratgeber der Weg zum Erfolg schlechthin. Aber ist das so? Beziehungsweise warum lassen sich Menschen das immer wieder einreden und kaufen diese ‚Dinger‘? Sind wir überfordert? Können wir keine eigenen Entscheidungen mehr treffen? Oder redet man uns mit all diesen Ratgebern nur ein, wir seien es? Oder noch schlimmer, werden wir es gar erst durch all diese Ratgeber? Wie dem auch sei. Fakt ist: Der Ratgeber-Markt boomt. Täglich schießen neue, erfolgsversprechende, absolut „erkenntnisreiche“ Werke dieser Gattung aus dem Boden. Und wenn man dann wirklich mal einen Rat oder eine Information braucht, z.B. wenn man verreisen möchte, steht man da und reist zunächst einmal durch besagten Ratgeberdschungel…

Diejenigen unter euch, die jetzt stolz denken: Ich habe mir noch nie einen Ratgeber gekauft und bin diesem Wahn noch nicht auf den Leim gegangen…. Irrtum. Noch keinen Ratgeber gekauft zu haben, bedeutet noch lange nicht, dass man nicht auch schon „Opfer“ dieses dubiosen Ratgebermarathons geworden ist. Denn dieser fängt schon bei ganz kleinen Dingen an. Ja, er beginnt bereits im Internet und hat sich klammheimlich in alle Sphären unseres Alltags gedrängelt. Denn schwubs erhascht uns eine Schlagzeile und wir lesen Tipps und Tricks und sind mitten drin im Ratgeberwust.

Auch ich war bis vor Kurzen stolz noch keinen Ratgeber gekauft zu haben und diesem Trend noch nicht verfallen zu sein. Doch ich wurde eines besseren belehrt. Denn mir fiel auf, dass mein wissbegieriges Hirn – oder sollte ich in diesem Fall lieber sagen mein Emotionsknotenpunkt – auch nicht vor bestimmten Schlagzeilen immun ist. Und nun muss ich mich wohl leider outen: Auch ich bin hin und wieder eine typische Frau. Und so erhascht mich besagter Ratgeberwahn z.B. wenn meine Augen Schlagzeilen wie „Was Männer wirklich wollen…“ oder „Wie Frauen zur Verführerin werden“ lesen. In Sekundenschnelle hat mein Gehirn in solchen Fällen folgenden Auftrag an meine rechte Hand gesendet: Link anklicken. Und schwubs führt meine Hand diesen Befehl aus und meine Augen konsumieren Ratschläge. Natürlich – so muss ich auch gestehen –  lese ich diese Artikel mit Hingabe, gerade weil sie so lustig sind. Und jedes Mal hoffe ich, dass man mir etwas Neues erzählt – denn die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt. Und auch jedes Mal lese ich dann doch wieder das Gleiche. Und somit muss ich mir eben eingestehen: Ja, auch ich bin besagtem Ratgeberurwald verfallen. Doch immer wenn ich die ach so tollen, frischen Informationen in mich aufgesogen habe, frage ich mich aufs Neue: Warum in aller Welt habe ich das jetzt gelesen? Warum habe ich dafür Zeit verschwendet? Habe ich denn tatsächlich gehofft, dass mir besagte Ratgeber Wissen vermitteln können, wie ich Männer besser verstehen kann? Ein schier wahnwitziger Gedanke. Denn wenn ich ehrlich zu mir bin, ist mir natürlich von vorherein bewusst: Würden all diese Tipps, Hinweise und Analysen stimmen und wirklich etwas bringen wäre doch jeder glücklich gepaart, es würde keinerlei Missverständnisse zwischen dem männlichen und weiblichen Geschlecht geben und alles wäre Friede-Freude-Eierkuchen. Und doch erhofft mein Emotionsknotenpunkt wohl genau dies in regelmäßigen Abständen und konsumiert Ratschläge. Da kann ich nur den Kopf über mich selbst schütteln…

Die größte aller Fragen dabei bleibt jedoch: Warum lesen Menschen so viele Ratgeber anstatt auf ihre eigenen Impulse zu vertrauen? Haben wir es verlernt Probleme und Konflikte alleine lösen zu können? Oder sind wir zu stark von unseren Mitmenschen abhängig? Hoffen wir damit immer noch besser, effizienter, etc. zu werden? Ist es wieder dieses Gesellschaftsphänomen sich keine Fehler erlauben zu dürfen oder zu wollen? Wir konsumieren also Ratgeber und hoffen auf Lösungen von unseren Zeitgenossen, auf die Antworten unserer Freunde, auf fremde Impulse die uns den Weg weisen und die richtige Entscheidung erleichtern. Aber warum fällt es uns so schwer eigene Entscheidungen zu treffen?

Letztlich gibt es drei verschiedene Wege Erkenntnisse zu erlangen und Entscheidungen fällen zu können: Durch Lernen – die aufwendigste und unpersönlichste Form, durch Beobachten und Nachmachen – die einfachste Variante, und durch das Sammeln eigener Erfahrungen – der wohl schwierigste, oftmals bitterste, aber auch effizienteste Weg, wenn es darum geht wirklich eine EIGENES zu erwirtschaften. Indem wir nun also Ratgeber konsumieren, wählen wir den einfachsten Weg und hoffen so, mögliche Unannehmlichkeiten umgehen zu können. Wir fügen uns unwillkürlich in eine große, wabernde Masse ein. Man schwimmt mit dem Strom, fällt nicht weiter auf, denn das Schwimmen im Strom führt zu Anonymität. Und am Ende fühlt man sich vielleicht irgendwie nicht ganz bei sich selbst. Denn um sich selbst zu entwickeln ist wohl das Verlassen der Strommitte notwendig. Und das fällt schwer…

Dennoch, manch einer braucht vielleicht den Schubs eines Ratgebers. Doch wieviel Ratgeber ist zu viel Ratgeber? Denn ist es nicht letztlich vielleicht sogar so, dass die Entscheidung nach dem durchforsten des Ratgeberdschungels noch schwieriger wird als vorher? Zumindest wenn man sich nicht nur für eine Liane entschieden hat, sondern gleich den ganzen Urwald durchforstet hat. So ergibt sich dann bei manchen Hilfesuchenden folgendes Szenario. Er/sie hat einige Ratgeber gelesen, tagelang online recherchiert, was genau den Kern der Sache ausmacht, wie er/sie es am besten anzupacken hat. Dann ist der Kopf voll mit Daten, Fakten, Tipps, Verbesserungsvorschlägen, Anregungen, etc. Und dann sitzt man da, will los und ist gehemmt. Anstelle einer klaren Idee rauschen nun die ganzen Ratschläge durch den Kopf. Und die klare Entscheidung? Bleibt aus. Vielleicht machen all die Hinweise bereits getroffene Entscheidungen leichter verständlich und helfen bereits Erlebtes besser einzuordnen. Aber sie blockieren die Neufindung. Bedröppelter als vorher sehnt man sich dann an den Punkt zurück, bevor man zum ersten Ratgeber griff. Ohne Tipps und Ratschläge. Einfach nur die ursprüngliche Naivität, das anfängliche Unwissen, das pure Gefühl :)

Auch ich hätte so manches Mal gern eine Patentlösung parat. Die Entscheidung die dann auch 100% zur Zufriedenheit führt. Aber gibt es die überhaupt? Ich denke nicht. Aber letztlich muss wohl jeder für sich selbst eine Antwort finden. Ob mit oder ohne Ratgeber ist dabei ebenfalls jedem selbst überlassen…