Aus dem gleichen Holz geschnitzt

Ossis mögen Ossis und Wessis mögen Wessis. Eine Abgrenzung, die auch fast 25 Jahre nach dem Mauerfall in Deutschland noch immer „funktioniert“. Nicht selten ist es jedenfalls so, dass man angesprochen auf seine Herkunft, sofort mit wildfremden Menschen aus dem gleichen Teil Deutschlands sympathisiert. „Du kommst aus’m Osten? Cool, ich auch.“ Ein Herzschlag, ein Handschlag und die erste Barriere ist gebrochen. Andersherum wird die Herkunft oft noch immer als Erklärung und Grund für eine Abneigung herangezogen. „Der is’ Wessi? Hab ich mir ja gleich gedacht, der is’ voll überheblich.“

Aber warum ist das so? Warum wird der inzwischen völlig überflüssige Ost-West-Vergleich herangezogen, um sich selbst besser darzustellen oder andere herabzusetzen? Warum greift die Unterteilung des Landes immer noch und vor allem dann, wenn man sich in irgendeiner Weise bedrängt, bedroht oder benachteiligt fühlt?

Der Grund sind kognitive Verzerrungen, wie z.B. Vorurteile und Klischees. Diese entstehen mitunter durch geschichtliche, politische oder soziokulturelle Ereignisse und helfen uns unsere Welt zu ordnen und uns zu gruppieren. Stichwort „Herdentier“. Laut Theorie der sozialen Identität fühlt sich der Mensch in Gruppen eben einfach stärker und wohler. Denn er ist immer um eine positive Selbsteinschätzung bemüht. Stichwort „Identitätsstiftendes Merkmal“. Getreu dem Motto „Gleich und gleich gesellt sich gern“, übertragen wir deshalb aber auch unbewusst unsere vermeintlich positivsten Eigenschaften auf Gruppenmitglieder, während wir sie Nichtmitgliedern absprechen. Eine Abgrenzung, die in Fachkreisen group attribution error genannt wird.

Das bedeutet schlicht und ergreifend, dass wir Menschen automatisch bevorzugen und positiver bewerten, wenn sie der gleichen Gruppe angehören. Sprich: Ossis sozialisieren sich mit Ossis, Wessis mit Wessis. Absurd, wenn man sich vor Augen führt, dass Deutschland bereits seit 25 Jahren eine Einheit ist und das Ost-West-Argument lediglich ein historisch sehr fragwürdiges identitätsstiftendes Merkmal ist.

 

 

Eine Antwort auf „Aus dem gleichen Holz geschnitzt“

  1. Also ich find ja Argumente historischer Natur nicht fragwürdiger, bloß weil sie eben dieser Natur ihr Wachsen, Werden (und vielleicht auch Ändern) verdanken. Aber ich sehe hier auch nicht DAS Ost-West-Argument. Sicher kann man soziologisch ran gehen: immer gibt es Gruppierungs- und Abgrenzungsmechanismen. Aber – vielleicht auch, weil 40 Jahre Historie nicht spurlos bleiben – es gibt, denke ich, hier auch immanente, strukturelle und substanzielle Merkmale, nicht nur funktionale. Ich glaube zum Beispiel, dass es immer noch unterschiedliche Mentalitäten zwischen Ost und West gibt, und natürlich auch zwischen Nord und Süd oder zwischen Hiphoppern und Metallern usw. Man lebt sich in Gruppen ja ein, ist über Zeiträume und Generationen/Traditionen hinweg sozialisiert …
    Dass die Kluft zwischen Ost und West als so breit empfunden wird, liegt vielleicht daran, dass „der Osten“ im Wiedervereinigungsprozess wenig zu sagen hatte/gesagt hat und man sich nun eines Minderwertigkeitsgefühls (Selbstwert) erwehren zu meinen glaubt. Andererseits treffe ich gerade in Berlin auch immer wieder auf Wessis, die den Ossis eine kollegialere, herzlichere Mentalität attestieren und damit ein Eigenbild von Außen bestätigen.
    Das soll die Kluft nicht verteidigen und aufrechterhalten. Ich meine nur, dass es sehr viel vielschichtiger scheint, auch und gerade wegen der historischen Tiefe und der faktischen Isolation voneinander.

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